Heft 3/4 2025 Digitale Medien und Geschichtsunterricht
Inhalt
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 76 (2025), 3/4
Die Digitalisierung bringt eine zweifache Herausforderung für den Geschichtsunterricht mit sich. Wir leben heutzutage in einer „digitalen Geschichtswelt“ – Schülerinnen und Schüler sollten über Kompetenzen für einen kritisch-reflexiven Umgang mit ihr verfügen; zugleich soll Unterricht (nicht nur im Fach Geschichte) methodische Potentiale der Digitalisierung nutzen. Im öffentlichen Diskurs scheint der zweite Punkt die Gemüter stärker zu erregen: Immer wieder wird lautstark beklagt, dass die Digitalisierung in den Schulen nicht vorankomme. Gemeint ist damit in Regel zunächst die technische Ausstattung der Schülerinnen und Schüler bzw. der Schulen mit Geräten und WLAN; damit ist die Erwartung einer Verbesserung von Unterricht verbunden, die allerdings pädagogisch und didaktisch vage bleibt – nicht zuletzt deswegen, weil nicht genauer definiert wird, was unter dem Begriff „(digitale) Medien“ zu verstehen ist.
Die Kultusministerkonferenz hat den generellen Herausforderungen der Digitalität bereits 2016 mit einem Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ Rechnung getragen. Medienbildung wird dabei als Querschnittaufgabe von Schule und Unterricht verstanden; dementsprechend sind die dort gemachten Ausführungen im Wesentlichen fachunspezifisch. Wie kann oder muss der Geschichtsuntericht konstruktiv darauf reagieren? Mit dieser Frage befasst sich das vorliegende Heft, das in Zusammenarbeit mit Astrid Schwabe konzipiert und realisiert worden ist.
Zu Beginn diskutiert Hannes Burkhardt zunächst das Verhältnis von Künstlicher Intelligenz und Geschichtskultur und untersucht im Anschluss daran, welche Potenziale und Herausforderungen für das historische Lernen KI bietet. Jedes Geschichtsschulbuch enthält heute spezielle Seiten für das Training fachspezifischer Methodenkompetenz. Wie Methodenkompetenz ausgehend von Digital History neu und weiter konzeptualisiert werden sollte, zeigt Anja Neubert mit einem „Curriculum digitaler historischer Methodenkompetenz“. Diesen beiden konzeptionell ausgerichteten Beiträgen folgen drei empirische Studien. Marcel Mierwald und Franziska Deutschmann untersuchen, wie Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht mit KI arbeiten – sie betonen, dass die Kommunikation mit KI und deren Produkte kritisch-reflektiert betrachtet werden müssten. Lena Liebern befasst sich mit der Frage, welche Aufgaben die Lernplattform segu – das bei weitem größte, am stärksten didaktisch durchkomponierte und am häufigsten genutzte digitale Angebot für historisches Lernen – bietet und wie Schülerinnen und Schüler damit umgehen. Wichtig sei (wie auch im Normalunterricht) eine Passung von Aufgaben und Vorwissen bzw. Verständnisstrukturen von Schülerinnen und Schülern sowie eine Reflexion über die Wissenskonstruktion des Angebots. Sven Alexander Neeb präsentiert die Ergebnisse einer Studie zur unterrichtlichen Mediennutzung von Geschichtslehrkräften und unterscheidet auf dieser Basis unterschiedliche Mediennutzungstypen; da die Daten vor mehr als fünf Jahren erhoben worden sind, wird es allerdings mittlerweile wohl zu Veränderungen gekommen sein – nicht zuletzt durch die Erfahrungen der Corona-Zeit. An Neebs Untersuchung schließt sich der Beitrag von Nadja Mix an, die über die Planung, Durchführung und Evaluation einer Lehrkräftefortbildung zu „Social Media im Geschichtsunterricht“ berichtet.
Das Heft wird abgerundet durch einen Beitrag zur Hochschullehre. Katharina Eisenbarth und Alexa von Winning geben ihre Erfahrungen aus einem Lehrprojekt wieder. Die Autorinnen zeigen, wie sich diverse Programme für den wissenschaftlichen Arbeitsprozesses einsetzen lassen – von der Literaturrecherche bis zur Textoptimierung. Deren effektive Nutzung, so ihr Befund, setze aber stets einen kritischen Blick auf der Basis historischen Fachwissens voraus.
Michael Sauer
- ABSTRACTS (S. 122)
- EDITORIAL (S. 124)
- BEITRÄGE
Hannes Burkhardt
Historisches Lernen mit Künstlicher Intelligenz
Über den kritisch-analytischen sowie kreativ-produktiven Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz im Geschichtsunterricht (S. 125)
Anja Neubert
Mehr Fachwert als Mehrwert wagen
Impulse für ein digitales Update historischer Methodenkompetenz im Geschichtsunterricht (S. 139)
Marcel Mierwald/Franziska Deutschmann
Mit historischen Personen chatten
Chancen und Herausforderungen des Einsatzes von generativer KI im Geschichtsunterricht (S. 155)
Lena Liebern
Geschichte lernen digital
Wie Schüler*innen digitale Lernaufgaben der Plattform segu lösen (S. 171)
Sven Alexander Neeb
Zwischen Tradition und Innovation
Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Mediennutzung im Geschichtsunterricht unter besonderer Berücksichtigung von digitalen Lehr- und Lernangeboten (S. 185)
Nadja Mix
„Social Media im Geschichtsunterricht“
Eine Fortbildungsreihe für Geschichtslehrkräfte zum kritischen Einsatz von Geschichtsdarstellungen in Social Media im Unterricht – Konzeption, Durchführung
und Ergebnisse (S. 197)
Katharina Eisenbarth/Alexa von Winning
Mehr als ChatGPT
KI-Tools und Geschichte in der Hochschullehre (S. 209)
- INFORMATIONEN NEUE MEDIEN
Gregor Horstkemper
Literaturrecherche im Umbruch
Potentiale und Grenzen von KI-Tools (S. 221)
- LITERATURBERICHT
Martin Kintzinger
Mittelalter allgemein und spätes
Mittelalter
Teil I (S. 224)
- NACHRICHTEN (S. 238)
- AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 240)
- ABSTRACTS
Hannes Burkhardt
Historisches Lernen mit Künstlicher Intelligenz
Über den kritisch-analytischen sowie kreativ-produktiven Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz im Geschichtsunterricht
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 125 – 138
Der vorliegende Beitrag umfasst Überlegungen zu der Frage, inwiefern sich generative Künstliche Intelligenz (KI) für das historische Lernen im Geschichtsunterricht eignet. Dabei werden die Potenziale und Herausforderungen einer kritisch-analytischen Dekonstruktion historischer Darstellungen sowie einer kreativ-produktiven Quellenerschließung aus geschichtsdidaktischer Perspektive dargestellt und abgewogen. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Begriffs der Geschichtskultur im Zeitalter der KI in ersten Ansätzen diskutiert. Die aktuelle Rolle der KI in der historischen Forschung und in der Geschichtskultur wird ebenfalls kurz beleuchtet. Der Beitrag betont die Notwendigkeit, KI im schulischen Lernen kritisch zu reflektieren und produktiv zu nutzen.
Anja Neubert
Mehr Fachwert statt Mehrwert wagen
Impulse für ein digitales Update historischer Methodenkompetenz im Geschichtsunterricht
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 139 – 154
Der Beitrag fragt nach digitalen Methodenkompetenzen im Geschichtsunterricht. Den Ausgangspunkt bilden Inhalte und Methoden der Digital History als Bezugsdisziplin historischen Lernens. Anschließend werden diese an der historischen Methode orientierten Ausführungen mit bildungspolitischen Vorgaben zusammengedacht und daraus Teilkompetenzen einer digitalen historischen Methodenkompetenz abgeleitet. Diese erfahren eine Konkretisierung an exemplarischen Szenarien digitalen historischen Lernens und werden schließlich in einem Vorschlag für ein digitalspezifisches Methodencurriculum gebündelt. Damit plädiert der Beitrag für eine konsequent fachspezifische Gestaltung digitaler historischer Lernprozesse und bietet zudem Lehrer*innen eine Orientierung für die Arbeit an schulischen Medienkonzepten.
Marcel Mierwald/Franziska Deutschmann
Mit historischen Personen chatten
Chancen und Herausforderungen des Einsatzes von generativer KI im Geschichtsunterricht
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 155 – 170
Über generative KI-Anwendungen wie ChatGPT wird momentan viel in Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutiert. Auch für den Geschichtsunterricht liegen mittlerweile zahlreiche Unterrichtsvorschläge und Anleitungen zum Einsatz von ChatGPT vor. Was neben empirischen Studien fehlt, sind jedoch kritisch-reflexive Arbeiten zur realen Interaktion von Lernenden mit generativer KI. Daher werden in diesem Beitrag auf der Basis eines Unterrichtsversuches mit einem Oberstufenkurs, der für die Bewältigung einer historischen Lernaufgabe den Chatbot einer historischen Person interviewen sollte, Chancen und Herausforderungen von generativer KI im Geschichtsunterricht herausgearbeitet und reflektiert.
Lena Liebern
Geschichte lernen digital
Wie Schüler*innen digitale Lernaufgaben der Plattform segu lösen
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 171 – 184
Das Projekt „Geschichte lernen digital“ widmet sich der Erforschung des historischen Lernens in der digital geprägten Lernumgebung segu. Durch die Konstruktion einer Angebot- Nutzungs-Studie können einerseits normative Ableitungen über den Lernbegriff der Plattform als digitale Lernumgebung des Geschichtsunterrichts getroffen werden. Andererseits können Auskünfte über das konkrete Nutzungsverhalten von Schüler*innen im Umgang mit der digitalen Lernplattform abgeleitet werden.
Sven Alexander Neeb
Zwischen Tradition und Innovation
Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Mediennutzung im Geschichtsunterricht unter besonderer Berücksichtigung von digitalen Lehr- und Lernangeboten
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 185 – 196
Der Beitrag untersucht die Nutzung digitaler Medien im Geschichtsunterricht auf Basis einer repräsentativen empirischen Untersuchung. Geschichtslehrkräfte wurden zu ihren Mediennutzungsgewohnheiten, den wahrgenommenen Chancen und Herausforderungen digitaler Medien sowie den diesbezüglichen technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen an ihren Schulen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass digitale Medien zwar eingesetzt wurden, aber noch nicht flächendeckend in historischen Lehr- und Lernprozessen integriert waren. Die erhobenen Daten ermöglichten eine auf der Digitalmediennutzung basierende Typologisierung der Lehrkräfte in drei Basistypen.
Nadja Mix
„Social Media im Geschichtsunterricht“
Eine Fortbildungsreihe für Geschichtslehrkräfte zum kritischen Einsatz von Geschichtsdarstellungen in Social Media im Unterricht
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 197 – 208
Können Lehrkräfte durch Fortbildungen selbstständig Lernumgebungen konzipieren, die zum kritischen Umgang mit Geschichtsdarstellungen in Social Media beitragen? Wie müssen Fortbildungen gestaltet und durchgeführt werden, um Lehrkräfte dahin zu führen? Diese Fragen werden in dem vorliegenden Aufsatz beantwortet, indem die Fortbildungsreihe „Social Media im Geschichtsunterricht“ vorgestellt wird.
Katharina Eisenbarth/Alexa von Winning
Mehr als ChatGPT
KI-Tools und Geschichte in der Hochschullehre
GWU 76, 2025, H. 3/4, S. 209 – 220
Der Beitrag untersucht den Einsatz von KI-Tools in der universitären Lehre und präsentiert Erfahrungen aus einem Mentorat an der Universität Tübingen. Es zeigt sich, dass die effektive Nutzung von KI-Tools historisches Fachwissen voraussetzt: Denn nur auf der Grundlage von
Fachwissen können Studierende die KIgenerierten Ergebnisse kritisch bewerten. Die Autorinnen diskutieren praktische Einsatzmöglichkeiten diverser Tools entlang des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses – von Literaturrecherche über Textanalyse bis zur Konzeption und Textverbesserung. Die kritische Auseinandersetzung mit KI-generierten Inhalten in der Lehre sehen sie als Chance, um methodische Kompetenzen bei Studierenden zu stärken.